Die Literaturen der verschiedenen Sprachen sind voll von unübersetzbaren Büchern; es ist heute ein Allgemeinplatz der Komparatistik und der Linguistik oder wie sich die Felder und ihre Institutionen des akademischen Zeitgeists gerade nennen, dass jeder noch so triviale Text Facetten enthält, die sich nicht in ein anderes sprachliches System übertragen lassen. Aber es gibt vielleicht kaum einen Text, der sich mehr seiner Übersetzung entzieht als The Ninth Biospherian von Roni Layerson. Seine(?) vielschichtige Annäherung an das Projekt Biosphere 2 stellt schon den gleichsprachigen Leser, die gleichsprachige Leserin vor große Verständnisprobleme (sofern sie des Texts überhaupt habhaft werden; zur wirren Publikationsgeschichte später mehr). Der Übersetzer, der nun ein – zumindest wahrscheinlich, noch wahrscheinlicher dann doch nicht – vollständiges Exemplar vor sich liegen hat, kann nicht anders als: verzweifeln.
The Ninth Biospherian ist die Geschichte der Biosphere 2: Von 1991 bis 1993 lebten acht Leute in einem riesigen Glashaus in der Wüste Arizonas. Das Gebäude war materiell von der Außenwelt abgeschlossen und enthielt sechs Biome, d. h. sechs vollständige Ökosysteme, Regenwald, Ozean, Wüste, Landwirtschaft etc., die für das Recyceln von Luft und Wasser sorgen und den Nahrungsbedarf der Crew decken sollten. Layerson erzählt die verschiedenen Aspekte dieses Projekts aus der Sicht eines imaginären neunten Crewmitglieds.
Die Struktur des vorliegenden Manuskripts ist die eines Sammelbandes. Es soll auch andere Versionen geben, doch ich kenne sie nicht. Mein Exemplar umfasst 637 A4-Seiten, zusätzlich einen losen Anhang aus Notizen, Bibliografie, Fußnoten und Bildmaterial, beinahe ebenso dick.
Das Inhaltsverzeichnis, das man erst einmal entdecken muss, denn es taucht erst am Ende des ersten Drittels des Texts unvermittelt auf, spricht von zwölf Kapiteln, als einzelne Aufsätze und Kurzgeschichten ausgewiesen. Ich habe zumindest ein zusätzliches, nicht angeführtes Kapitel entdeckt. Die einzelnen Kapitel (ich bleibe bei diesem neutral zu lesenden Begriff) werden nicht unterschiedlichen Autoren zugewiesen, obwohl sie teilweise eindeutig abgeschrieben sind: manchmal mehr, manchmal weniger. Layerson enthält sich des abgeschmackten Zuordnens von Autorennamen, er weiß, dass wir es ohnehin in dieser Art lesen werden.
Dafür sorgt schon der Beginn des Sammelbandes, eine Art Einleitung. Layerson schreibt:
Auf den ersten Blick, d. h. auf den ersten Seiten oder beim schnellen Durchblättern, wirkt The Ninth Biospherian vielleicht, je nach Vorbildung oder stilistischer Präferenz, wie Die vollkommene Leere von Lem, oder auch eine der Metafiktionen von Borges, oder was weiß ich. Und das sind schließlich auch zwei Referenzen, die immer wieder genannt werden, wenn darüber geschrieben wird, also wirkt das Buch auch schon so, bevor man es überhaupt in Händen hält. Also das wusste auch ich schon, bevor ich damit anfing, mich damit zu beschäftigen. Es ist nun wirklich keine große Schwierigkeit, Verbindungen bis zurück zu Sartor Resartus herzustellen. Referenzen. Gimmicks.
Spätestens jetzt ist klar, in welchem Fahrwasser wir uns bewegen. Stanislaw Lems Die vollkommene Leere ist ein Buch, das aus Rezensionen von imaginären Science-Fiction-Büchern besteht. Das Vorwort bespricht Lems Buch selbst. Wer Die vollkommene Leere kennt, wird mir vielleicht in meiner Einschätzung Recht geben, dass es eher manieriert und eitel ist als ein Leseabenteuer. Der von Layerson erwähnte Jorge Luis Borges schreibt in einem Vorwort, dass sein Schreibstil in Fiktionen noch plump sei. Andernorts ordnet er das Überbarocke eines Texts einem unreifen Autor zu. Diese Selbstkritik trifft in der ihr eigenen Eitelkeit wohl weniger auf die Geschichten in Fiktionen zu als auf das spätere Buch von Lem. Und sie trifft auf Layerson zu. Es scheint, als ob der Virus dieser spiegelfechterischen Textproduktion sich auch in die Matrix des Fechtstils einschreibt, und das mit jeder Generation mehr. Auch ich spüre seine Infektion. Dieselbe Schwierigkeit erfasst mich beim Übersetzen des Textes; denn einerseits will ich dem Stil des Originals treu bleiben, und sei er auch noch so Scheiße. Andererseits: Es juckt natürlich, die Schwächen des Autors zu verbessern. Zum Beispiel zu schreiben: „und sei er auch noch so Scheiße“, das heißt, sich vom Blasé zu verabschieden. Hinein in einen anderen Manierismus. Und somit dem grundsätzlichen Charakter des Originals treu bleiben!
(…)
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