Die
Spiegelkabinette von Scion Fictience
Science Fiction ist bekanntermaßen ein Genre, das entgegen seiner propagierten fiktiven Inhalte in erster Linie der Beschreibung der gegenwärtigen Realität dient: sozusagen der Doku-Wolf im Klonschafpelz. Mich interessieren im Folgenden zwei beliebte Figuren der SciFi, die innerhalb des Genres oft als spiegelartige Gyroskope* auftauchen, um philosophische, soziale wie politische Fragen zu verhandeln. Eines dieser dieser rotierenden Spiegelkabinette ist die Zeitmaschine, das andere das Miniatur-Modell; beide sind des öfteren zusätzlich ineinander verschränkt und beide tauchen immer wieder im Werk von Philip K. Dick auf, an dem ich mich hier hauptsächlich orientiere.
Die Zeit-Maschine Unter Zeitmaschine
verstehe ich hier nicht nur den willentlich konstruierten Mechanismus
(a la H.G. Wells oder Doc Brown), sondern jede diegetische Konstruktion,
die eine "Zeitreise" ermöglicht, d.h. eine Re-Positionierung
im normalen Zeitfluss. Dies kann auch durch Unfälle und andere Begleiterscheinungen
eintreten oder einfach Grundannahme von Parallelwelt-Szenarien sein. Sogesehen
kann man jede Form der Narration als Zeitreisen ermöglichende Konstruktion
sehen (Bilder, Roman, Theater, Film, etc.), was also bedeutet, dass SciFi
eine Selbstreflexionsmöglichkeit dieser Eigenschaft narrativer Medien
anbietet. Anders gesagt: die Zeitmaschine der SciFi führt das allgemeine
narrative Instrumentarium modellhaft vor. Ein Spezialfall
der Zeitverschiebung ist im Subgenre der alternate history zu finden.
Die Geschichten spielen nicht unbedingt in der Zukunft, sondern in einer
parallelen Welt, in der der Lauf der Weltgeschichte irgendwann von dem
uns bekannten abgewichen ist. Eine andere Bezeichnung dafür wäre
Uchronie, in Anlehnung an den Begriff der Utopie. Wenn SciFi
abstrakte Muster von narrativen "Zeitreisen" modellhaft wiedergeben
kann, so finden wir hier das Vexierbild von SciFi selbst:
Das Miniatur-Modell Wenn im Zusammenhang von SciFi immer wieder die Modellhaftigkeit von Darstellungen beschrieben wird, so verwundert es nicht, dass auch Modelle und Miniaturwelten selbst in den Geschichten auftauchen. Die Massstäblichkeit der begrenzten Weltbeschreibung kann hier - ja, nochmal: modellhaft - vorgeführt werden. Modelle
üben eine eigenartige Faszination aus, die in den letzten Jahren
auch im Kunstbetrieb verstärkt auftaucht. Wir finden in allen möglichen
Arbeiten Modelle, von Städten, Häusern, Theorien, kaum etwas
wird jedoch über Modellhaftigkeit an sich gesagt. Drei Beispiele
von Kurzgeschichten von Philip K. Dick seien hier kurz angeführt:
Diese drei
simplen Geschichten geben eine kurzen Einblick in das Naheverhältnis,
in dem die Faszination für Modelle zu neurotischen und psychotischen
Aspekten steht. Verlust(-angst), Kontrolle und Machtlust durchziehen sie. Interessant in Zusammenhang mit The Trouble With Bubbles ist sicherlich auch das reale Projekt "Biosphere 2", das Ende der Achtziger in der Wüste von Arizona entstand: in einer riesigen Glashausarchitektur wurden hier verschiedene Biotope der Erde nachgebildet und samt einer Besatzung hermetisch von der Aussenwelt abgeriegelt. Ziel der privaten Initiative war es, autonome Lebenswelten für zukünftige interplanetare Reisen auszutesten. In den wenigen Jahren des Betribes kam es immer wieder zu gröberen technischen und vor allem sozialen Problemen in der abgeschlossenen Blase. Heute erinnern in erster Linie kleine käufliche Biosphere 2 - Glaskugeln mit Wasser, Algen und primitiven Kleinkrebsen als kommerzielle Miniatur des wissenschaftlichen Modells noch an das vor 20 Jahren vieldiskutierte Projekt. Die Welt als Miniatur, das ist aber nicht zuletzt auch der erhabene Blick der Mondmissionen auf den blauen Planeten, oder der letzte Blick eines Major Tom auf die kleiner werdende Erde, die er für immer verlässt. Hier wird die Wirklichkeit selbst zu der Miniatur, die man vielleicht als Dopplung in einer Biosphere 2 mit sich im Raumschiff hat.
* Das von Foucault (Pendel-Léon, nicht Michel) benannte Gerät ist im wesentlichen eine Form von Mehrfach-Kreiselsystem. "A gyroscope is a device which demonstrates the principle of conservation of angular momentum. In physics this is also known as gyroscopic inertia or rigidity in space." meint en.wikipedia, während das deutsche Schwesternprojekt rein auf die Nutzung des G.'s zu Steuerungszwecken in der Raumfahrt eingeht. |
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