Die Spiegelkabinette von Scion Fictience
Eingangsstatement für das Camp der Firma Raumforschung,
Theatercombinat Wien, Sept. 05, Ralo Mayer

 

Science Fiction ist bekanntermaßen ein Genre, das entgegen seiner propagierten fiktiven Inhalte in erster Linie der Beschreibung der gegenwärtigen Realität dient: sozusagen der Doku-Wolf im Klonschafpelz.

Mich interessieren im Folgenden zwei beliebte Figuren der SciFi, die innerhalb des Genres oft als spiegelartige Gyroskope* auftauchen, um philosophische, soziale wie politische Fragen zu verhandeln. Eines dieser dieser rotierenden Spiegelkabinette ist die Zeitmaschine, das andere das Miniatur-Modell; beide sind des öfteren zusätzlich ineinander verschränkt und beide tauchen immer wieder im Werk von Philip K. Dick auf, an dem ich mich hier hauptsächlich orientiere.

 

Die Zeit-Maschine

Unter Zeitmaschine verstehe ich hier nicht nur den willentlich konstruierten Mechanismus (a la H.G. Wells oder Doc Brown), sondern jede diegetische Konstruktion, die eine "Zeitreise" ermöglicht, d.h. eine Re-Positionierung im normalen Zeitfluss. Dies kann auch durch Unfälle und andere Begleiterscheinungen eintreten oder einfach Grundannahme von Parallelwelt-Szenarien sein. Sogesehen kann man jede Form der Narration als Zeitreisen ermöglichende Konstruktion sehen (Bilder, Roman, Theater, Film, etc.), was also bedeutet, dass SciFi eine Selbstreflexionsmöglichkeit dieser Eigenschaft narrativer Medien anbietet. Anders gesagt: die Zeitmaschine der SciFi führt das allgemeine narrative Instrumentarium modellhaft vor.
Nach der Erfindung der Zeitmaschinen begannen sich ihre KonstrukteurInnen schnell mit den Begleiterscheinungen von Reisen durch die Zeit zu beschäftigen, vor allem den Paradoxien, die durch Veränderungen der Vergangenheit entstehen. Auf diesen oft diskutierten Aspekt will ich jedoch nicht näher eingehen.

Ein Spezialfall der Zeitverschiebung ist im Subgenre der alternate history zu finden. Die Geschichten spielen nicht unbedingt in der Zukunft, sondern in einer parallelen Welt, in der der Lauf der Weltgeschichte irgendwann von dem uns bekannten abgewichen ist. Eine andere Bezeichnung dafür wäre Uchronie, in Anlehnung an den Begriff der Utopie.
Einer der bekanntesten Form von alternate history ist der Roman The Man in the High Castle von Philip K. Dick. In ihm geht Dick davon aus, dass Japan und Deutschland den Zweiten Weltkrieg gewonnen haben. Die Geschichte spielt in den 1960ern, also der Zeit, in der sie aiuch geschriebn und veröffentlicht wurde. Im Gegensatz zu neueren Variationen des Themas, die sich meist dem "Was wäre wenn" widmen und nicht selten in die Nähe revisionistischer Propaganda gelangen, geht es Dick - wie bei den meisten seiner Arbeiten - vor allem um die Frage, was wir als Realität begreifen können. Diese Spiegel-Konstruktion wird von der Figur eines Autors (dem Menschen aus dem Titel) unterstrichen, der innerhalb der Narration einen Underground-Bestseller geschrieben hat, in dem er ein alternatives Geschichtsszenario beschreibt: in dem wiederum haben Japan und Deutschland den Krieg verloren.

Wenn SciFi abstrakte Muster von narrativen "Zeitreisen" modellhaft wiedergeben kann, so finden wir hier das Vexierbild von SciFi selbst:
Genaugenommen können wir heute viele der SciFi-Stories des Goldenen Zeitalters der 1950er und 60er als Alternate History der Gegenwart lesen. Viele von ihnen beschreiben postapokalyptische Szenarien eines thermonuklearen Krieges zwischen Ost und West.
Ein solches Szenario las man um 1960 wohl weniger als absurde alternate history als eine fiktiv-fiktive Geschichte, die von einem Ende des Kalten Krieges ausgegange wäre (ausgelöst durch, sagen wir mal, eine Allianz aus katholischen und ökonomischen Interessen) und ein Wiederaufflammen des Kaschierens von Konflikten mittels religiöser und kultureller Motive beschrieben hätte ("Milleniumskreuzzugs-Trilogie").

 

Das Miniatur-Modell

Wenn im Zusammenhang von SciFi immer wieder die Modellhaftigkeit von Darstellungen beschrieben wird, so verwundert es nicht, dass auch Modelle und Miniaturwelten selbst in den Geschichten auftauchen. Die Massstäblichkeit der begrenzten Weltbeschreibung kann hier - ja, nochmal: modellhaft - vorgeführt werden.

Modelle üben eine eigenartige Faszination aus, die in den letzten Jahren auch im Kunstbetrieb verstärkt auftaucht. Wir finden in allen möglichen Arbeiten Modelle, von Städten, Häusern, Theorien, kaum etwas wird jedoch über Modellhaftigkeit an sich gesagt.
Das Modell, die raumgreifende Karte, ermöglicht uns kindliche Weltbeherrschungsphantasien. Ein Bild einer Doku-Fiction des letzten Jahres kann hier als emblematisch bezeichnet werden: Der Generalbauinspektor zeigt dem Chef das Modell der Reichshauptstadt der Zukunft. Was uns in "Speer und Er" gezeigt wird, sind detailiert nachgestellte bekannte Originalfotografien der Präsentation von Germania, die in dieser 1:1 Inszenierung alles mögliche bedienen, aber sicher keine kritische Beschäftigung mit einem Modell des Totalitären.

Drei Beispiele von Kurzgeschichten von Philip K. Dick seien hier kurz angeführt:
The Days of Perky Pat beschreibt eine Welt nach dem Atomkrieg, in der die Überlebenden in isolierten Bunkeranlagen leben. Die Erwachsenen spielen, in vager Erinnerung an idealisierte vergangene Lebenswelten, mit Puppen und investieren einen Großteil ihrer Zeit in den detailierten Bau von Miniatur-Spielwelt. (Radikaler aufgegriffen werden diese Perky Pap Layouts in Dick's späterem Roman The Three Stigamata of Palmer Eldritch)
Small Town schildert wiederum einen Antihelden, der sich, nachdem er seine untreue Ehefrau "in flagranti" erwischt, völlig in seine ausgeklügelte Eisenbahnwelt im Hobbykeller zurückzieht. Hier baut er seine Heimatstadt nach seinen Wünschen neu und kontrolliert das Geschehen. Ehefrau und Liebhaber sehen ihr Problem schon durch die Psychiatrie gelöst, bis sie entdecken müssen, dass der Modellbauer tatsächlich die Realität verändert.
In The Trouble With Bubbles entwirft Dick eine zukünftige Gesellschaft, die völlig von einem Spielzeug besessen ist, dass es ermöglicht im Schnellvorlauf eine Miniaturwelt in einer Kugel zu generieren. Es gibt tagelange Wettbwerbe, wer die höchststehendste Zivilisation erschaffen kann, an deren Ende immer die orgiastische Zerstörung des Werkes steht. Am Ende der Geschichte brechen verschieden Katastrophen über die Realwelt herein und es wird deutlich, dass auch sie nur ein Spielzeug zwar mächtigerer, aber ebenso überdrüssiger Wesen ist.

Diese drei simplen Geschichten geben eine kurzen Einblick in das Naheverhältnis, in dem die Faszination für Modelle zu neurotischen und psychotischen Aspekten steht. Verlust(-angst), Kontrolle und Machtlust durchziehen sie.
Augenscheinlich ist der quasi-militärische Blick, die überblickende Kavaliersperspektive und die dadurch mögliche Zugriffsmöglichkeit bei allen Modellen. Dies verweist auch auf die digitale Modellform in der Virtual Reality der 1990er, mit dem Datenhandschuh als Kontrollinstanz. (Diesen Aspekt habe ich u.a. gemeinsam mit Philipp Haupt in der Arbeit "Museum of Gothenburg N.B." behandelt.)

Interessant in Zusammenhang mit The Trouble With Bubbles ist sicherlich auch das reale Projekt "Biosphere 2", das Ende der Achtziger in der Wüste von Arizona entstand: in einer riesigen Glashausarchitektur wurden hier verschiedene Biotope der Erde nachgebildet und samt einer Besatzung hermetisch von der Aussenwelt abgeriegelt. Ziel der privaten Initiative war es, autonome Lebenswelten für zukünftige interplanetare Reisen auszutesten. In den wenigen Jahren des Betribes kam es immer wieder zu gröberen technischen und vor allem sozialen Problemen in der abgeschlossenen Blase. Heute erinnern in erster Linie kleine käufliche Biosphere 2 - Glaskugeln mit Wasser, Algen und primitiven Kleinkrebsen als kommerzielle Miniatur des wissenschaftlichen Modells noch an das vor 20 Jahren vieldiskutierte Projekt.

Die Welt als Miniatur, das ist aber nicht zuletzt auch der erhabene Blick der Mondmissionen auf den blauen Planeten, oder der letzte Blick eines Major Tom auf die kleiner werdende Erde, die er für immer verlässt. Hier wird die Wirklichkeit selbst zu der Miniatur, die man vielleicht als Dopplung in einer Biosphere 2 mit sich im Raumschiff hat.

 

 

 

* Das von Foucault (Pendel-Léon, nicht Michel) benannte Gerät ist im wesentlichen eine Form von Mehrfach-Kreiselsystem. "A gyroscope is a device which demonstrates the principle of conservation of angular momentum. In physics this is also known as gyroscopic inertia or rigidity in space." meint en.wikipedia, während das deutsche Schwesternprojekt rein auf die Nutzung des G.'s zu Steuerungszwecken in der Raumfahrt eingeht.