(Heterotopologie,
ähem.) IRREN WIR DURCH DESOLATE GÄNGE einer vor Jahren verlassenen Institution - der Wind bläst durch die Ritzen und das Mauerwerk bröckelt - so kommen wir am Ende eines Ganges zur ehemaligen Abteilung für Virologie. Zwei Türen weiter treten wir in einen Raum, der das übrige reale Gebäude als illusorisch denunziert. Oder: einen anderen wirklichen Raum, der so vollkommen, so sorgfältig, so wohlgeordnet ist wie der vorige ungeordnet und wirr ist. Diesen Raum nennen wir Freie Universität Mahagoni, nach dem Tropenholz-Aktionslaminat, das nun die Boden- und Bankkonstruktion verkleidet. In den letzten Wochen beschäftigten uns sehr konkrete Fragen: z.B. gab unsere Kreissäge den Geist auf, und wir mussten eine andere besorgen, die ebenso genaue Gehrungsschnitte ermöglicht. Daneben gab es noch stündliche Diskussionen über Details der Ausführung: Bekommt die versenkbare Tischplatte Haken oder Löcher? Meistens sind wir aber ganz froh, wenn wir uns darüber in die Haare kriegen und uns nicht aus anderen Gründen annerven. Diese Gründe sind persönlicher und künstlerischer Natur, und das schlimmste ist, dass ich die immer weniger auseinanderhalten kann. Wir sind keine einheitliche Gruppe - und wir sind uns auch uneins darüber, ob und wie wir interne Konflikte nach aussen repräsentieren sollen. ÖFFNEN
WIR DIE FENSTER oder begeben uns auf einen Spaziergang am Campus der Freien
Universität Manoa, hören wir repetitive Gesänge, Musik,
- und Baumaschinen. Mit geschlossenen Augen finden wir in dieser Soundkulisse
zugleich den alltäglichen Hinweis, wo wir uns befinden; daß
wir temporäre Zwischennutzerin in einem größeren transitorischen
Prozess sind, der wiederum nur Teil der allgemeinen sozialen und ökonomischen
Transformationen ist. Wenn ich hier von Heterotopien schreibe, jenen tatsächlich
realisierten Utopien, in denen die wirklichen Plätze innerhalb der
Kultur gleichzeitig repräsentiert, bestritten und gewendet sind,
so beginnt und endet diese Frage mit unserem eigenen Versuch einer emanzipatorischen
Praxis in Alltag und Imagination. LADEN WIR
LEUTE EIN, so müssen wir ab 18:00 das schwere Gittertor öffnen
gehen, das zuvor der Wachdienst versperrt hat. Wir befinden uns in einem
seltsamen Zerrbild einer Gated Community, ein weiteres exterritoriales
Gelände im dritten Bezirk. Unsere Nachbarn sind zwei Schlagzeuger,
ein Sänger, Künstlerinnen und Architektinnen. Heterotopien
setzen immer ein System von Öffnungen und Schliessungen voraus, das
sie gleichzeitig isoliert und durchdringlich macht. Im allgemeinen ist
ein heterotopischer Platz nicht ohne weiteres zugänglich. Wir
wurden gefragt, ob jede bei unserer Uni mitmachen kann, und wir antworteten
Ja, aber besser: Ihr macht Eure eigene Uni; eine solche Selbstinstitution
ist bewußt klein angelegt, und selbst in dieser überschaubaren
Größe sehen wir uns mit Entfremdung und Überforderung
konfrontiert. Betreibt man Heterotopologie vier Monate, als Wettberwerbsbeitrag? In Klammern und mit Räuspern. Wenn ich an einen heterotopischen Raum denke, sagen wir mal eine Freie Uni, dann heisst das auch, die Trampelpfade der Kulturproduktion (prekär und dennoch ausgelatscht) zu verlassen. Was wir da so rund um ein ehemaliges Anatomiegebäude treiben, wozu wir immer neu ansetzen, ist vielleicht das Erkunden eines "terrain vague", wie es der kürzlich verstorbene Constant begriff. Ein unklares Gelände, auf dem man spielen kann (wie die Kinder und nicht wie die Zocker), aber das auch Abgründe birgt. Heterotopie, das bedeutet nicht von vornherein einen "guten" Ort - oder einen "schlechten"; und wenn hier auch die Realität ist, einen Katalogtext zu schreiben, an einem Wettbewerb teilzunehmen, mit seinen Abläufen, Regeln usw., so geht es doch um mehr, viel mehr. daegseingcny
kursiv: Michel Foucault: Heterotopien. Von Anderen Räumen.
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