(Heterotopologie, ähem.)

IRREN WIR DURCH DESOLATE GÄNGE einer vor Jahren verlassenen Institution - der Wind bläst durch die Ritzen und das Mauerwerk bröckelt - so kommen wir am Ende eines Ganges zur ehemaligen Abteilung für Virologie. Zwei Türen weiter treten wir in einen Raum, der das übrige reale Gebäude als illusorisch denunziert. Oder: einen anderen wirklichen Raum, der so vollkommen, so sorgfältig, so wohlgeordnet ist wie der vorige ungeordnet und wirr ist. Diesen Raum nennen wir Freie Universität Mahagoni, nach dem Tropenholz-Aktionslaminat, das nun die Boden- und Bankkonstruktion verkleidet. In den letzten Wochen beschäftigten uns sehr konkrete Fragen: z.B. gab unsere Kreissäge den Geist auf, und wir mussten eine andere besorgen, die ebenso genaue Gehrungsschnitte ermöglicht. Daneben gab es noch stündliche Diskussionen über Details der Ausführung: Bekommt die versenkbare Tischplatte Haken oder Löcher? Meistens sind wir aber ganz froh, wenn wir uns darüber in die Haare kriegen und uns nicht aus anderen Gründen annerven. Diese Gründe sind persönlicher und künstlerischer Natur, und das schlimmste ist, dass ich die immer weniger auseinanderhalten kann. Wir sind keine einheitliche Gruppe - und wir sind uns auch uneins darüber, ob und wie wir interne Konflikte nach aussen repräsentieren sollen.

ÖFFNEN WIR DIE FENSTER oder begeben uns auf einen Spaziergang am Campus der Freien Universität Manoa, hören wir repetitive Gesänge, Musik, - und Baumaschinen. Mit geschlossenen Augen finden wir in dieser Soundkulisse zugleich den alltäglichen Hinweis, wo wir uns befinden; daß wir temporäre Zwischennutzerin in einem größeren transitorischen Prozess sind, der wiederum nur Teil der allgemeinen sozialen und ökonomischen Transformationen ist. Wenn ich hier von Heterotopien schreibe, jenen tatsächlich realisierten Utopien, in denen die wirklichen Plätze innerhalb der Kultur gleichzeitig repräsentiert, bestritten und gewendet sind, so beginnt und endet diese Frage mit unserem eigenen Versuch einer emanzipatorischen Praxis in Alltag und Imagination.
Mit Juli 2005 siedelte sich die Freie Universität Manoa im Anatomiegebäude der ehemaligen Vet. Med. Universität in 1030 Wien an. Auf dem Areal befindet sich seit Ende der Neunziger die Universität für Musik und darstellende Kunst und adaptiert stückweise die auf dem Campusgelände befindlichen Gebäude. Mit dem Schritt in die Vollrechtsfähigkeit ist die Darstellende auch vermehrt gezwungen, selbst Gelder für den laufenden Uni-Betrieb zu akquirieren: Man erkennt dies z.B. an den Firmen-Plaketten der Sponsoren im Eingangsbereich des Neubaus. Nicht genug Geld ist jedenfalls vorhanden, um alle Umbauten und Renovierungen sofort auszuführen; das ehemalige Anatomiegebäude ist der graue Schandfleck im schönbrunngelben Areal und wird es wohl auch noch für die nächsten drei Jahre bleiben. Ein Körberlgeld für die Universität verdient die Abteilung für Strategische Projektplanung, indem sie das leerstehende Gebäude untervermietet, weniger zur Freude der Abteilung für Gebäude und Technik. Und allgemein wird auf die Bundesimmobiliengesellschaft geschimpft. Das Navigieren einer Selbstinstitution durch diese im Umbau befindliche Institutionsbürokratie gleicht oft einem Ausflug in die Spiegelkabinette: zuweilen amüsant, meist mit erschreckenden Ansichten auf Figuren und Szenarien.

LADEN WIR LEUTE EIN, so müssen wir ab 18:00 das schwere Gittertor öffnen gehen, das zuvor der Wachdienst versperrt hat. Wir befinden uns in einem seltsamen Zerrbild einer Gated Community, ein weiteres exterritoriales Gelände im dritten Bezirk. Unsere Nachbarn sind zwei Schlagzeuger, ein Sänger, Künstlerinnen und Architektinnen. Heterotopien setzen immer ein System von Öffnungen und Schliessungen voraus, das sie gleichzeitig isoliert und durchdringlich macht. Im allgemeinen ist ein heterotopischer Platz nicht ohne weiteres zugänglich. Wir wurden gefragt, ob jede bei unserer Uni mitmachen kann, und wir antworteten Ja, aber besser: Ihr macht Eure eigene Uni; eine solche Selbstinstitution ist bewußt klein angelegt, und selbst in dieser überschaubaren Größe sehen wir uns mit Entfremdung und Überforderung konfrontiert.
Ende August haben wir mit kleineren Veranstaltungen begonnen, ein Konzept des "Halb-Öffentlichen" auszutesten: einen Schwebezustand zwischen einer informellen Atmosphäre, des Vertrauens und des Experiments, und einer Offenheit für neue Leute und Ideen zu halten; der Isolation und Erstarrung einer kleinen Gruppe entkommen, aber nicht in der bürokratischen Umarmung der institutionellen Normalisierung landen.
Es gibt aber auch Heterotopien, die an das Flüchtigste, an das Vorübergehendste, an das Prekärste der Zeit geknüpft sind: in der Weise des Festes. Man könnte sich z.B. vorstellen, daß sich dort, wo sonst Präsentationen und Diskussionen stattfinden, eines Nachts die selben Menschen treffen, die sonst an diesen Veranstaltungen teilnehmen, um alle möglichen und unmöglichen Drogen nehmen, ein schaukelndes Stück Raum werden, in sich geschlossen und gleichzeitig dem Unendlichen des Meeres ausgeliefert. Die Heterotopie erreicht ihr volles Funktionieren, wenn die Menschen mit ihrer herkömmlichen Zeit brechen.

Betreibt man Heterotopologie vier Monate, als Wettberwerbsbeitrag? In Klammern und mit Räuspern. Wenn ich an einen heterotopischen Raum denke, sagen wir mal eine Freie Uni, dann heisst das auch, die Trampelpfade der Kulturproduktion (prekär und dennoch ausgelatscht) zu verlassen. Was wir da so rund um ein ehemaliges Anatomiegebäude treiben, wozu wir immer neu ansetzen, ist vielleicht das Erkunden eines "terrain vague", wie es der kürzlich verstorbene Constant begriff. Ein unklares Gelände, auf dem man spielen kann (wie die Kinder und nicht wie die Zocker), aber das auch Abgründe birgt. Heterotopie, das bedeutet nicht von vornherein einen "guten" Ort - oder einen "schlechten"; und wenn hier auch die Realität ist, einen Katalogtext zu schreiben, an einem Wettbewerb teilzunehmen, mit seinen Abläufen, Regeln usw., so geht es doch um mehr, viel mehr. daegseingcny

 

kursiv: Michel Foucault: Heterotopien. Von Anderen Räumen.