Interview-Montage by Ascan Breuer [03/2005] - home

 

 Flucht aus Forst nach Vorn

Flüchtlinge werden in der politischen Philosophie gerne als die „Avantgarde der Völker“ und als Prototypus des „revolutionären Subjekts“ glorifiziert. Tatsächlich stellen sie zu aller erst das „nackte Leben“ selbst dar, das jenseits jeden Rechts steht. Sie bilden so die unterste, ohnmächtigste Schicht des gesellschaftlichen Gefüges... Der Prozess einer Selbstermächtigung ist damit systematisch verunmöglicht - und findet doch statt. Im Zuge der Dreharbeiten zum Film „Forst“ wurden zahlreiche Gespräche und Diskussionen mit Flüchtlingsgruppen geführt und dokumentiert, in denen Widerstandskonzepte unter diesen widrigen Bedingungen erörtert wurden. Diese Interviews bilden die Basis für die Narration von „Forst“. Die folgende Interview-Montage ist aus Auszügen dieser Gespräche zusammengesetzt. 

aus: Diagonale - Materialien [print pdf]

   

VALENTIN: ...Ich habe mit der alten Irakerin gesprochen und sie eingeladen. Aber sie wollte nicht kommen. Sie ist völlig gebrochen. Gerade sie, die die Courage hatte, gegen Saddam Widerstand zu leisten, deren Sohn im Gefängnis saß, sie hat jetzt Angst zu unserem Treffen zu kommen. Das allein zeigt doch, dass wir hier in einem unterdrückenden System stecken, das vielleicht noch weit effektiver arbeitet als jede offene Gewaltherrschaft. Dort kann man bewusst Widerstand leisten, hier dagegen werden wir auf eine unbewusste Art gebrochen. Hier sind wir theoretisch nicht eingekerkert, doch praktisch sind wir es. Wir sind in die Natur ausgesperrt. Um uns herum ist nur Wald, endloser Wald. Es ist ja ein Unterschied, ob ich hier in die Natur gehen, um mich zu entspannen, um Ruhe oder Romantik zu finden, oder ob ich hier unwiderruflich ausgesperrt bin. Sie wollen uns damit psychisch töten. Das ist der Sinn der Sache. Sie sperren uns hier aus und spielen mit uns dieses lustige Spiel: Wenn wir gute Flüchtlinge sind, wir uns ruhig verhalten und hier diese psychische Folter der Isolation ertragen, dann haben wir Aussicht auf Asyl - irgendwann. Die Wahrheit ist, dass sie es uns nie gewähren und höchstens mit Deportation belohnen werden. Und sollten wir hier jemals herauskommen, werden wir bis dahin gebrochene Existenzen sein und dürfen uns in die unterste Klasse der Gesellschaft einreihen...

CHALID: Sie sagen, dass wir warten sollen. Aber es gibt hier viele Leute, die bereits seit drei Jahren warten. Einige sogar seit fünf Jahren. Sie sperren uns hier in ein Gefängnis – ja, dies ist ein Gefängnis, auch wenn sie es nicht so nennen – ohne dass wir uns etwas zu Schulden kommen haben lassen. Das einzige Verbrechen, das sie uns anhängen wollen, ist unsere Flucht selbst. Das ist absurd. Wir werden bestraft, aber es gibt für mich nichts zu bereuen. Und das macht mich wahnsinnig, weil es so sinnlos ist. Ich soll nur essen, trinken, schlafen, essen, trinken, schlafen und warten, jahrelang warten. Und dankbar dafür sein. Ich bin zwar vor meinen Problemen geflohen, vor politischen Problemen, und ich habe mir eine Auszeit von meinen Problemen erhofft, aber dass ich hier völlig kaltgestellt werde, habe ich nicht erwartet. Und sie bezeichnen das als „humanitäre Hilfe“. Ich bin erstaunt. Wirklich erstaunt.

MARTHA: Vielleicht denken sie, dass wir froh über unsere Situation hier sein dürfen. Aber wo ich her kommen, dort war ich gewohnt, mich frei zu bewegen. Okay, sie haben uns zwar das Demonstrieren verboten und sie haben uns politisch verfolgt, aber die Kontrolle und Unterdrückung war nie so total. Sie ist total, obwohl oder gerade weil sie so diffus ist.

BETHI: Jedem kann hier jeden Moment die Deportation blühen! Sie wollen uns ständig im Auge behalten, um uns jederzeit für mögliche Deportationen verfügbar zu halten. Wir können hier zwar raus, aber an allen Bahnhöfen lauert Polizei, die uns ständig kontrolliert und uns wieder hierher schickt. Nennen wir es ein „offenes Gefängnis“...

VALENTIN: Und hinterher schicken sie uns eine Rechnung für die Rückfahrkarte - und obendrauf ein Strafverfahren wegen des Übertretens unsichtbarer Grenzen. Ab und an kommt die Polizei auch hier in den Forst, um irgendwen irgendwohin abzutransportieren...

CONSTANZE: Die Irakerin ist nicht die einzige, die Angst hat ihre Probleme zu artikulieren. Der Forst traumatisiert uns alle. Die Leute hier sind großteils psychische Wracks, sind in die innere Immigration gegangen. Einige sprechen mit sich selbst. Ich selbst schlafe eigentlich nur 24 Stunden durch. Und der Grund ist, dass wir keine Rechte haben. Wir müssen willenlos erdulden. Sogar das Sprechen ist uns untersagt. Ich erinnere mich an diese Anhörungen, in denen wir uns für unsere Flucht rechtfertigen müssen. In Wirklichkeit haben sie sich gar nicht für meine Fluchtmotive interessiert. Ich erzähle Ihnen von dem Trauma meines Lebens, während sie untereinander flüstern, Witze machen und dabei Äpfel essen, um mich dann mittendrin abzubrechen und kommentarlos aus dem Raum zu weisen. Ich bin mir sicher, dass der einzige Grund für unsere Isolation hier derjenige ist, dass sie uns hier behandeln können, wie es ihnen passt. Niemand dort draußen wird davon erfahren... Sie wollen uns hier schlicht zerstören!

VALENTIN: Wie den Junge, der Glassplitter gegessen hat. Er hat wirklich Glas gegessen! Und sie haben es nicht für nötig gehalten, ihm einer psychiatrischen Untersuchung zu unterziehen. Und andererseits sind sie gerade dabei, Psychologen anzuwerben, die speziell darauf trainiert sind, psychischen Druck auf uns auszuüben, um uns zur Rückkehr zu bewegen.

BETHI: Sie wollen einfach unsere Moral brechen. Sie wollen sie abtöten. Es gibt ununterbrochen Querelen unter uns, unter Freunden, zwischen verschiedenen Nationalitäten… Die meisten sind depressiv und aggressiv zugleich. Viele sind drogenabhängig... Sie degradieren uns zum menschlichen Müll. Ich fühle mich zumindest nicht mehr als Mensch. Ein Mensch lebt nicht nur von Schlafen und Essen allein.

CONSTANZE: Aber warum schlafen wir ständig. Es hilft uns nicht weiter, wenn wir ihr Spiel mitspielen. Ich kümmere mich einfach nicht mehr darum, was sie wollen. Ich tue was ich will. Es ist vielleicht sogar besser, wenn sie Angst vor uns haben, als andersherum. Es ist besser, stark zu sein. Stark zu sein ist nicht nur ein gutes Gefühl, es ist die einzige Möglichkeit, in dieser Gesellschaft zu überleben. Sie müssen erfahren, dass wir das nicht einfach hinnehmen werden. Wir brauchen den Mut und die Courage, die Angst vor ihnen zu besiegen. Es ist höchste Zeit, dass wir zu brüllen anfangen und die Öffentlichkeit über unsere Probleme in Kenntnis setzen. Das ist die einzige Möglichkeit gegen unsere Unterdrückung zu kämpfen. Wir müssen in die Städte gehen und Lärm machen.

CHALID: Zu uns in den Wald kommt ohnehin kein Mensch. Und wenn jemand zu Besuch kommt, schicken sie ihn entweder gleich wieder weg, oder sie behandeln ihn dermaßen misstrauisch und feindselig, dass er nie mehr wiederkommt.

VALENTIN: Das Problem ist nur: Die Öffentlichkeit interessiert sich nicht für unsere Sicht. Die Presse hat ihren Job in dieser Hinsicht gut gemacht, indem sie dieses eigenartige Bild von uns gezeichnet hat: wir als potenzielle Kriminelle, die Europa und seine sozialen Systeme „überschwämmen“ wollen. Für mich trägt das Ganze gewisse faschistoide Züge: Wenn du jemanden beseitigen willst, gib ihm einen schlechten Ruf...

CHALID: Wenn wir schweigen, werden sie weitermachen. Und wenn wir aufmucken, werden sie ihre Repressionen vielleicht noch ausweiten. Auf Einsicht werden wir nicht hoffen können.

CONSTANZE: Es ist ein zweischneidiges Schwert: Wir können unsere Isolation nur brechen, indem wir uns organisieren und in ganz Europa publik machen, was hier geschieht. Und wir müssen die anderen Flüchtlinge darüber in Kenntnis setzen, dass es Leute wie uns gibt. Andererseits werden wir es nie schaffen, die Verantwortlichen und die Meinungsführer davon abzubringen, uns derart zu behandeln, denn ich bin mir sicher, dass sie es tun, weil sie uns hassen.

VALENTIN: Ich denke, dass die Leute, die in diesem System eingebunden sind, ich meine die Sozialarbeiter und die Sicherheitsleute, sich nicht im Klaren darüber sind, was genau der Sinn ihres Jobs ist. Sie denken vielleicht tatsächlich, dass sie uns helfen. Wir müssen ihnen klar machen, dass der einzige Sinn ihrer Arbeit ist, uns zu unterdrücken und von der Gesellschaft fern zu halten. Das mag in ihren Ohren verrückt klingen, aber genauso ist es. Wir dürfen ihnen nicht mehr die Gelegenheit geben, sich hinter ihren Gesetzen zu verstecken, so wie sie es ständig tun: „Das Gesetz sagt dies, das Gesetz sagt jenes...“

SONNY: Der Grund für diese zahllosen Gesetze ist, dass sie Angst vor uns haben. Sie haben Angst, dass wir uns organisieren und Widerstand leisten. Sie isolieren uns ja nicht nur von der Gesellschaft, sondern sie versuchen ja auch den Kontakt unter uns Flüchtlingen zu unterbinden. Das ist ja der Hauptaspekt des Sprechverbotes. Doch wenn wir uns einig sind, repräsentieren wir eine große Macht, die für sich sprechen kann und durch die wir dem System nicht mehr schutzlos ausgeliefert sind.

BETHI: Sie werden dem nicht tatenlos zuschauen. Sie sind gezwungen darauf zu reagieren. Sie versuchen uns einzuschüchtern. Als sie merkten, dass ich aktiv werde, haben sie angefangen mir Probleme zu bereiten. Sie fingen an mich auszufragen und mir mit eigenartigen Argumenten Genehmigungen zu verweigern. Und alle Behörden scheinen dabei in einer Art Verschwörung zusammen zu arbeiten. Auf versteckte Weise versuchen sie sogar, die anderen Flüchtlinge von mir fern zu halten. Und sie schicken mir diese Briefe in blauen Umschlägen. Jeder sieht das und jeder weiß, dass sie von der Regierung kommen - was kein gutes Zeichen ist.

CHALID : Die Repression passiert - wie die Kontrolle - fast nie auf direktem Wege. Wenn sie das Gefühl haben, dass man Teil einer Verschwörung gegen sie sein könnte, schicken sie einen in ein anderes „Heim“, das noch tiefer im „Bush“ liegt - oder in Gegenden mit einer starken, gewalttätigen Rechten. Sie haben ein Lager-Ranking, und die schlimmsten sind für die Schwererziehbaren reserviert – für die „Schwerkriminellen“. Blaue Briefe sind ein Zeichen dafür, dass es bald so weit sein könnte...

CONSTANZE: Mich haben sie in ihr Büro gerufen und eindringlich darauf hingewiesen, das es keine gute Idee sei, mich zu organisieren. Sie haben mir gedroht, dass es eher nur meiner Deportation förderlich sei. Und ich weiß, dass es problematisch werden könnte, dass es mir selbst vielleicht gar nicht helfen wird. Aber es geht auch um etwas größeres, weitreichenderes. Wenn es mir nichts bringt, dann vielleicht anderen...

BETHI: Wenn wir hier im Forst bleiben, wird das überhaupt nichts ändern. Aber vielleicht können wir die Dinge für jene ändern, die später kommen. Wir müssen dieses Risiko eingehen.

MARTHA: Schließlich sind wir als Politiker, als politische Aktivisten gekommen. Und die meisten von uns sind gut ausgebildet. Warum also Zeit verschwenden?

BETHI: Wenn uns hier schon alles verboten ist, so ist es ja wenigstens erlaubt zu Demonstrieren. Wir müssen uns hier in Europa in die Politik einmischen. Viele von uns wissen ja gar nicht, dass wir das dürfen.

CHALID: Das ist ja auch der Sinn der Isolation: Wir sollen dumm gehalten werden. Wir kennen unsere Verbote, aber wir wissen nichts über unsere Rechte...

VALENTIN: Auf der anderen Seite ist dies auch die Möglichkeit, sich wieder lebendig zu fühlen. Der Kampf wird wieder Teil meines Lebens. Das ist eine neue, alte Lebensperspektive. Ich sehe das auch als eine Fortsetzung meiner politischen Arbeit - auf anderem Territorium: Jetzt bin ich in Europa und es haben sich neue Problemfelder aufgetan. Ich bin ja nicht von meinen Mitstreitern hergeschickt worden, um jahrelang im Wald zu schlafen. Dadurch lassen sich auch die verschiedenen Kämpfe miteinander verbinden und in einem großen Rahmen betrachten. Wir kommen ja alle mit verschiedenen kulturellen Hintergründen aus allen Teilen der Welt hierher – in die Zentrale der Welt. Hier kommt alles zusammen, Hier haben auch die Probleme der Welt ihren Ausgangspunkt. Aber es bietet uns auch die Möglichkeit andere Sichtweisen zu verstehen, die Problem miteinander zu verknüpfen, sich auszutauschen und sogar sensibelste Fragen zu erörtern: Fragen der Weltordnung genauso wie Fragen zum Rassismus, Sexismus, Antisemitismus... Wir müssen das, was wir tun, als ein neue, bessere Politik verstehen: dass es unsere Pflicht gegenüber der Gesellschaft ist, auf eine demokratisierte Welt hinzuarbeiten, in der es nicht möglich ist, Leute wie uns auf diese Art zu behandeln...

 

Interviews mit Mitgliedern von The Voice – Refugee Forum, Women in Exile und der Caravan for the Rights of Migrants and Refugees. Die Interviews wurden in englischer Sprache geführt. InterviewerInnen: Ascan Breuer, Julia Lazarus, Lem Stachel. Transktiption: Ursula Hansbauer, Wolfgang Konrad. Übersetzung und Montage: Ascan Breuer

 

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