… die alten Bilder zerstören …
„Die Regierung bezeichnet uns als ‚Clandestins’, als ‚Illegale’. Damit werden wir von vornherein für schuldig erklärt, und ein ganzes Arsenal von juristischen und technischen Mitteln kann bei Bedarf gegen uns aufgefahren werden. (…) Wir haben von Anfang an den Begriff ‚Illegale’ abgelehnt und dagegengehalten, dass wir Frauen, Männer und Kinder sind und gefälligst auch als solche gesehen werden wollen. Im Begriff ‚Illegale’ schwingt eine negative Bedeutung mit, die Konnotation des Paria, ja des Parasiten. Illegale, das sind Unsichtbare, die sich verstecken, die wahrscheinlich etwas ausgefressen haben und womöglich gefährlich werden könnten. Aber jetzt sind wir da, gut sichtbar, und wir wollen es bleiben! Das wird man beachten müssen. Wir müssen die alten Bilder zerstören.“
aus:
Diagonale
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In Zusammenarbeit mit dem „The VOICE - Refugee Forum Jena“ nimmt der Film Forst eine filmische Auseinandersetzung mit ebendieser, von der langjährigen Sprecherin der Organisation „Sans Papiers“, Madjiguène Cissé, beschriebenen strukturellen Gewalt vor, die europaweit Existenzen illegalisiert und Rechtlosigkeit konstruiert.
Die Frage nach der eigenen Filmsprache
Angesichts der Festung Europa, der Normalisierung ihrer repressiven Strukturen und dem damit verbundenen Imageregime der „Illegalen“ als bedrohliche oder im besten Falle bemitleidenswerte Objekte scheint für Forst die Frage nach der eigenen Filmsprache absolut zentral zu sein, die diese Repräsentationsstruktur der „alten Bilder“, wie Cissé es ausdrückt, durchbricht. Die Auseinandersetzung mit Film als soziale Praxis der Bedeutungsproduktion im Zusammenhang mit der Frage nach einer Filmsprache, die es überhaupt vermag, derartig normalisierte und tief verankerte repressive Strukturen sichtbar zu machen, steht hier also im Vordergrund. Dabei bewegt sich Forst im Spannungsfeld zwischen der filmischen Vermittlung von erkämpfter politischer Subjektivität und der Visualisierung herrschender Strukturen. Die im Eingangszitat von Madjiguène Cissé eingenommene Position der Artikulation des „Wir“ entspringt der autonomen Widerstandsbewegung der „Sans Papiers “in Frankreich. In dieser erkämpften SprecherInnenposition spiegeln sich zentrale Prozesse des Sich-politisch-Sichtbarmachens wider. Ein Akt des Sprechens, der das Paradigma der „Illegalen“ als sprachlos gemachte, entrechtete Objekte dekonstruiert und durchbricht. Dies bringt uns auch wieder zum erwähnten Spannungsfeld zurück, in dem sich die filmische Auseinandersetzung von Forstbewegt. In diesem Zusammenhang wirft sich auch die folgende Frage auf: Welche Filmsprache vermag die vor dem Hintergrund struktureller Gewalt erkämpfte politische Subjektivität filmisch zu vermitteln?
Der mächtige Blick
Forst wählt eine „Unheimlichkeit“ erzeugende Bildsprache. Ein scheinbar mit Nachtsichtkamera gefilmter Wald dient der Visualisierung der strukturellen Dimensionen der Gewalt der Illegalisierung. Die grobkörnigen Schwarz-Weiß-Bilder erinnern an Zeitungsfotos. Forst beginnt mit einer Autofahrt, die sich wie ein roter Faden durch den gesamten Film zieht. Dabei fahren die ZuschauerInnen nicht mit, sondern beobachten die Fahrt des Autos durch den Wald aus einer vogelperspektivischen Distanz. Forst vermag es, sich filmisch tief greifend mit der Struktur des mächtigen Blickes selbst auseinander zu setzen. Es ist der Blick der nicht-illegalisierten und in diesem Sinne privilegierten Mehrheit. Dadurch wird die mit diesem Blick verknüpfte, ganz selbstverständliche Machtposition explizit gemacht. Der mächtige Blick nimmt eine überwachende, distanziert beobachtende Perspektive ein. Die auf diesem Weg visualierte Macht und die damit verbundene Bedrohlichkeit ebendieses Blickes positionieren die ZuschauerInnen im Kontext hegemonialer Macht- und Ohnmachtverhältnisse. Diese Praxis der filmischen Bedeutungsproduktion stellt letztlich die Objektivität des mächtigen, „normalen“ Blickes in Frage. Indem Unsichtbarkeiten struktureller Gewalt auf vielfältige Weise sichtbar gemacht werden, wird die Normalisierung von absoluter Entrechtung grundlegend in Frage gestellt.
Anfangs beobachten die ZuschauerInnen die Fahrt des Autos durch die Waldkulisse in eisiger Stille, währenddessen die Erzählung einer lautlosen Stimme durch eingeblendete Untertitel lesbar gemacht wird. Zwischen der bildlich, durch nüchterne Distanz vermittelten Normalität der Autofahrt und der lesbaren subjektiven Beschreibung dieser Autofahrt als Gewaltakt baut sich ein spannungsgeladener Kontrast auf. Als ZuschauerInnen nähert sich uns der Wald langsam. In innerhalb des Waldes erkämpften Räumen positionieren AktivistInnen von „The Voice“ ihre unterschiedlichen Perspektiven, erzählen immer vor dem Hintergrund der visualisierten, gegen sie gerichteten strukturellen Gewalt, dennoch nicht als monolithische Einheitsmasse entrechteter Objekte. Als politische Subjekte und AkteurInnen im Kampf für ihre Rechte bleiben sie dennoch in gewisser Weise unsichtbar. In Forst sind es ausschließlich „The Voices“ ,die Stimmen von Aktivisten und Aktivistinnen, die SprecherInnenpositionen einnehmen. Die ZuschauerInnen hören dabei zu, können und dürfen nicht sehen. Ihr mächtiger Blick bleibt so in seiner gesellschaftlichen Machtposition statisch, bleibt für die sprechenden politischen Subjekte bedrohlich.
Als Konsequenz dieser Machtverhältnisse muss sich diesem Blick die Bildebene der Voices entziehen. Die ZuschauerInnen sehen nicht, wer spricht. In oft abstrahierten Bildern werden erkämpfte Räume innerhalb eines „Waldsystems“ visualisiert. Gestalten bewegen sich umsichtig in diesem „System“, behaupten sich hier, befestigen Plakate auf Bäumen, besprechen sich. Forst stellt mit seiner gewählten Filmsprache tradierte Seh- und Darstellungstraditionen in Frage. Entgegen den herrschenden viktimisierenden Bildercodes werden die ZuschauerInnen nicht mit Bildern von „betroffenen Gesichtern“ gefüttert, die an ihre Empathie appellieren.
Spannungsfelder
Forstfokussiert seine filmische Auseinandersetzung in eindringlicher Konsequenz auf strukturelle Dimensionen von Gewalt. Das Spannungsfeld zwischen dem Sichtbarmachen repressiver Strukturen und der visualisierten Unsichtbarkeit der politischen Subjekte des Widerstands bleibt dennoch bestehen und wirft Fragen hinsichtlich der hier gewählten und der noch zu entwickelnden Filmsprachen auf. Einerseits werden „alte Bilder zerstört“ und die tief greifenden Dimensionen der Illegalisierung von Existenzen visualisiert, andererseits wird aber gleichzeitig die von Madjiguène Cissé dargelegte Dimension der „Unsichtbarkeit der im Wald Versteckten“ reproduziert.
Araba Evelyn Johnston-Arthur:
Mitbegründerin von Pamoja. Bewegung der jungen afrikanischen Diaspora in Österreich, Aktivistin der black community in Wien, Betriebsrätin der Initiative Minderheiten, arbeitet zu Repräsentationspolitik, Schwarzer Befreiungstheorie und -Praxis, Geschichte und Gegenwart der afrikanischen Diaspora mit Schwerpunkt Österreich, institutionalisierten Rassismus und Antirassismus. Mitglied der Programmkommission der DIAGONALE 2005.
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